Ich habe auf unseren Reisen schon so viele spannende und interessante Geschichten und Legenden gehört, die uns oft den Ort noch viel Näher brachten. Geschichten über wütende Teufel, Geister und mystische Figuren die in Höhlen wohnen, begegnen einem überall auf der Welt. Miriam erinnert sich zwar nicht mehr an viele der Orte, an denen wir waren, die Geschichten sind ihr aber immer noch im Kopf. Warum die Slowenen früher daran glaubten, dass in ihren Höhlen Drachen lebten kann sie perfekt erklären, und warum die Erbsen des Teufels in der Bretagne so heißen wie sie heißen weiß sie auch. Auf jeder Burg fragt sie als erstes nach dem Burggespenst, und sie kann sich noch so herrlich gruseln.
Die Geschichte, die ich heute erzählen möchte ist mir aber vor Miriams Geburt in Ecuador passiert. Ich habe dort als 19-jährige in verschiedenen Projekten als Freiwillige gearbeitet, unter anderem in La Hesperia, einer Hacienda im Nebelwald. Die Farm wurde bereits seit mehreren Generationen von der gleichen Familie betrieben, bis der jetzige Besitzer sich entschieden hat, mehr auch Nachhaltigkeit und weniger auf Kühe zu setzen. Ich war also da, um bei der Wiederaufforstung zu helfen und ökologische Landwirtschaft zu lernen. Mit mir waren ungefähr 10 andere Freiwillige in der Station, mit denen ich mir ein kleines Häuschen geteilt habe. An diesem Tag war jedoch eine größere Gruppe angekommen, so dass ich mein Bett räumen musste und mit zwei anderen Freiwilligen im alten Herrenhaus schlafen sollte. In dem prachtvollen alten Steinhaus war der Dachboden ausgebaut worden und dort standen einige Betten, die nur genutzt wurden, wenn alle anderen Unterbringungsmöglichkeiten ausgeschöpft waren.
Zur Feier des Tages, da so viele Neue angekommen waren, haben wir draußen ein großes Lagerfeuer gemacht und Juan Pablo, der Besitzer der Hacienda hat sich zu uns gesellt. Es war ein schöner Abend mit viel Gelächter und vielen neuen Gesichtern. Irgendwann fragte dann jemand Juan Pablo nach der Geschichte seiner Hacienda. Er begann zu erzählen, und langsam erstarben alle anderen Gespräche, bis alle ganz nah um das Lagerfeuer saßen und ihm zuhörten.
Er erzählte von seinen Großeltern, die hier unter großen Entbehrungen Vieh im Dschungel gehalten hatten, von seinem Vater der mit ganz neuen Ideen nach dem Studium aus der Hauptstadt zurückgekommen war, vom Wandel hin zum Naturschutz und von einer Kindheit als Sohn eines Großgrundbesitzers. Schließlich erzählte er auch von der Geschichte des Herrenhauses, das schon vor mehr als 150 Jahren existiert haben soll.
„In den Unabhängigkeitskriegen von Spanien, die 1830 in der Deklaration der Unabhängigkeit Ecuadors endeten, wurde das Land hier dem guten Freund und Kampfgefährten des Unabhängigkeitskämpfers Simon Bolivar zugesprochen. Er konnte hier nie leben, aber seine Frau Marquesa de Solanda bewirtschaftete das Land in seinem Namen. Sie soll das erste Haus hier gebaut haben, auf dessen Grundmauern bis heute unser Herrenhaus steht. Wir leben schon lange nicht mehr hier, denn es ranken sich viele Geschichten um dieses Haus.
Die Marquesa soll hier nicht glücklich gewesen sein, aber das Land verlassen wollte sie auch nicht. Schließlich starb sie und ihr Land fiel an eine andere Familie. Seitdem wurde ihr Geist immer wieder hier gesehen. Es heißt, wenn man in dem alten Herrenhaus schläft, erscheint sie mit einer Kerze in der Hand, klopft an die Tür und sagt immer wieder diesen einen Satz: Das ist nicht dein Haus, du gehörst hier nicht hin.“
Die Geschichte war so richtig schön gruselig und jagte uns allen eine Gänsehaut ein, bis ich dann plötzlich realisierte – ich sollt ja heute Nacht genau in diesem verfluchten Haus schlafen. So lange wir noch alle gemeinsam am Feuer saßen, war die Vorstellung noch gar nicht so schlimm, als die Runde sich dann aber auflöste, wurde mir schon irgendwie mulmig. Aber wir sollten ja zu dritt sein, außerdem sagte ich mir immer wieder, dass das nur eine Geschichte sei.
Zu dritt – Pustekuchen. Eine unserer Zimmergenossinnen entschied sich kurzerhand mit den anderen im neuen Haus zu schlafen, zur Not auf dem Boden. In das Haus mit dem Geist konnten sie keine zehn Pferde mehr bekommen. Zu zweit machten wir uns dann todesmutig auf den Weg auf den Dachboden. Ein bisschen Muffensausen hatten wir beide, gleichzeitig habe ich mir auch immer wieder gedacht, dass das ja alles nur eine Geschichte ist. Außerdem kann es sein, dass ich am Lagerfeuer auch ein bisschen geprahlt habe, ich hätte keine Angst…
Als wir im Bett lagen, sah dann auch schon wieder alles besser aus, und ich hatte mich beruhigt. Bis wir plötzlich ein komisches Kratzen an der Wand hörten. Und dann wieder. Nach dem dritten Mal fragte ich meine Zimmergenossin, ob sie das auch hört. Sie bejahte, schon mit einem Zittern in der Stimme. Und dann kratzte es wieder. Damit war ihre Geduld aufgebraucht, sie schnappte sich ihren Schlafsack und machte sich auf den Weg ins neue Haus. Und ich war allein.
Wieso ich alleine dageblieben bin, weiß ich nicht mehr so genau. Irgendwie wollte ich es mir aber beweisen, dass ich nicht an Geistergeschichten glaube und dass ich kein Angsthase bin. Ich habe mir also immer wieder gesagt, dass alles ok ist, dass das Kratzen bestimmt nur Äste auf dem Dach sind und dass ich jetzt schlafen kann. Ganz langsam bin ich wieder ruhiger geworden und dann auch eingeschlummert.
„Pock“ – plötzlich klopft es einmal ganz laut an die Tür. „Krrrks“ langsam geht sie auf. Ich sehe nichts, es ist stockdunkel, ich kann es nur hören. Mein Herz rast und ich denke, mein letztes Stündlein hat geschlagen. Panisch versuche ich in der Dunkelheit etwas zu erkennen, halb erwarte ich eine schwebende Kerze zu sehen. Das ist nicht mein Haus, ich sollte hier nicht sein. Die Marquesa ist gekommen, um mich zu holen.
Wie im Horrorfilm tasten meine Hände hektisch nach der Taschenlampe neben meinem Bett, erst fällt sie natürlich auf den Boden, aber dann habe ich sie endlich und kann Licht machen. Das hilft aber nicht unbedingt, jetzt sehe ich nämlich zwar, dass in der Tür niemand steht, aber überall lauern Schatten. Steht da jemand in der Ecke? Bewegt sich da was? Mein Herz schlägt mir fast aus der Brust, und ich nehme alle meinen Mut zusammen und rufe: Hola? – Keine Antwort. Da ist niemand. Aber die Tür steht auf, die hatte ich doch definitiv vorher zu gemacht. Es bleibt mir wohl nichts anderes über, ich muss nachgucken.
Ich kratze alle meinen verbleibenden Mut zusammen und stehe auf. Mit der Taschenlampe weit vorgestreckt gehe ich langsam zwischen den Betten her in Richtung Tür. Was erwartet mich dort wohl? Oder besser gesagt wer? Die Luft ist erfüllt von komischen Geräuschen, auch das Kratzen im Dach ist wieder da. Schnell leuchte ich durch die Tür um die Ecke. Niemand. Nichts. Aber wie ist die Tür aufgegangen? Plötzlich sehe ich schemenhafte Bewegungen auf dem Boden. Irgendwas ist da. Ich gehe näher und richte die Taschenlampe darauf. Und sehe eine alte Fledermaus.
Als ich am nächsten Tag meine Geschichte am Frühstückstisch erzähle, zwinkert Juan Pablo mir zu. Seit ein paar Jahren hat sich eine kleine Fledermauskolonie im Dach niedergelassen. Das Kratzen unter dem Dach verursachen die kleinen Tierchen. Manchmal fliegen sie auch nachts wild durch den Dachstuhl – dass eine alte Fledermaus, die offensichtlich die Orientierung verloren hatte allerdings mit vollem Schwung vor die Tür fliegt und diese damit aufstößt, ist noch nie vorgekommen. Trotzdem finde ich, er hätte mich mal vorwarnen können, obwohl ich mir hätte denken können, dass es zu seinen Hobbies gehört leichtgläubige Volontärinnen zu veräppeln.
Ich jedenfalls werde diese Nacht niemals vergessen. Und ich finde mich auch immer noch verdammt mutig von mir, dass ich den Fledermäusen getrotzt habe. Auch wenn ich mir in der Situation selbst fast in die Hose gemacht hätte. Und man muss ja zugeben, wenn ich nicht alleine dort geblieben wäre, hätte ich jetzt nicht so eine lustige Geschichte zu erzählen!
Dieser Text ist Teil meiner Blogparade zum Thema "Lagerfeuergeschichten von unterwegs". Schaut doch mal dort vorbei, wenn ihr mehr Geschichten lesen wollt oder vielleicht sogar selbst etwas erlebt habt, das ihr gehre teilen möchtet.
Kommentar schreiben
Christina (Mittwoch, 05 September 2018 10:35)
Eine richtig tolle Geschichte! Ich hab total mit dir gefühlt, als deine letzte Zimmergenossin dich allein gelassen hat!
So richtig gruselige Geschichten habe ich von meinen Urlauben (gottseidank?!) (noch?!) nicht zu erzählen. Mehr in der Richtung Pleiten, Pech und Pannendienst - als uns bei unsrem Segelboot in der Karbik die zweite Schiffsschraube vor einer Bucht einfach abgefallen ist und unser Boot manövrierunfähig langsam Richtung Klippen driftete und wir von einem netten Einheimischen mit seinem kleinen Dingiboot abgeschleppt wurden. Oder einige Begegnungen mit Schlangen und Spinnen in Australien. Bei der einen Wanderung mussten wir unter großen Spinnennetzen durchgehen (sie waren in ca. 2,5-3m Höhe, also eigentlich ein guter Abstand) und ich am Ende heulend vor meinem Freund stand, weil die ganze Situation mich so fertig gemacht hat (habe ich erwähnt, dass ich eine Spinnenphobie hatte?). Die Spinnen waren schon irgendwie gruselig für mich, aber definitiv nicht in so einem tollen Lagerfeuercharakter, da ich ja gleichzeitig weiß, wie Lächerlich diese Angst doch ist ;-)
Eine schöne Geschichte jedenfalls, sollte ich bald mal eine richtig Gute auf Lager haben, gebe ich dir bescheid!
Alles Liebe,
Christina
http://miles-and-shores.com